Alle großen Reifenhersteller und auch kleinere Startups haben ihn in der Schublade liegen, den luftlosen Reifen. Michelin und Hankook haben sogar marktreife Produkte, die bereits erhältlich oder in Kürze eingeführt werden. Jedoch nur für Baustellenfahrzeuge, Quads und Rasenmähertraktoren sowie für Fahrräder. Dabei sollen längst auch Reifen für Pkw und Nutzfahrzeuge einsatzbereit sein. Die Vorteile des luftlosen Reifens sind bestechend, aber nicht alle sind über diese Idee glücklich.
Er besitzt eine bessere Umweltbilanz als der Pneu, obwohl der Tweel aus Polyurethan gefertigt wird, einem Erdöl-Produkt. Tweel ist übrigens die Bezeichnung, die die Michelin-Entwickler dem luftlosen Reifen gegeben haben. Er verfügt über einen geringeren Rollwiderstand. Der berühmt berüchtigte Plattfuß, natürlich immer bei strömendem Regen, gehört mit ihm der Vergangenheit an. Auch die Befürchtung mit zu viel oder zu wenig Luft herumzufahren, hat sich damit erledigt. Natürlich sind dann auch Sensoren zur Luftdrucküberwachung überflüssig. Die Laufleistung ist angeblich höher, was aber aufgrund fehlender Tests in der Realität noch nicht bewiesen ist. Selbst den geliebten Alufelgen kann Adieu gesagt werden, denn der Tweel benötigt nur einen eher kleinen Stahlkranz zur Schraubenbefestigung, der Rest ist Reifen und der lässt sich nach Belieben einfärben.
Warum dauert es so lange bis zur Markteinführung?
Die Idee des luftlosen Reifens, bei dem die Luftkammer durch elastische Speichen ersetzt wird, kam schon im Jahr 2005 der Öffentlichkeit zu Ohren. Der französische Reifenhersteller Michelin verkündete damals über Terry Gettys, den Direktor des Entwicklungszentrums in den USA, das der Tweel in zehn Jahren Marktreife erreicht haben wird. Das wäre dementsprechend vor gut drei Jahren gewesen. Gut Ding will Weile haben und inzwischen wurde ja auch schon 2019 als Ziel zur Markteinführung genannt. Aber ob dies wirklich eingehalten wird, ist fraglich.
Seltsam ist jedoch, dass die Konkurrenz von Michelin den Franzosen nicht zuvorkommt und ihre eigenen Entwicklungen auf dem Markt platzieren. Immerhin ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Bombengeschäft. Allein in Deutschland sind rund 50 Millionen Fahrzeuge angemeldet, der größte Teil davon Pkw. Was hält die Hersteller ab, sich von diesem Kuchen ein möglichst großes Stück zu sichern?
Es darf spekuliert werden
Vielleicht geht es den Reifenherstellern ähnlich wie den Autoherstellern bei der Umstellung vom Verbrennungsmotor auf den E-Antrieb. Warum ein gut laufendes Geschäft aufgeben? Warum Produktionsstraßen umstellen? Der Tweel ist vergleichbar zum E-Motor, der Brennstoffzellentechnik und der Hybrid-Motorisierung.
Immerhin müssen bei der Umstellung von pneumatischen Reifen auf luftlose Reifen einige Branchen herbe Einbußen hinnehmen. Nicht sofort, aber auf absehbare Zeit. An erster Stelle sind hierbei die Kautschukproduzenten zu nennen, denn auch wenn es längst künstlichen Kautschuk gibt, kann es dieser mit bestimmten Eigenschaften des natürlichen Kautschukbaum-Produkts nicht aufnehmen. Jährlich ernten die zehn größten Erzeugerländer zusammen rund 7,5 Millionen Tonnen Naturkautschuk, wobei Thailand mit gut 40 % Anteil am Weltmarkt führend ist. Der gesamte Sektor der Kautschukerzeugung über die Pflanze befindet sich in rund 17 Drittwelt- und Schwellenländern. Das ist für die Reifenhersteller eine sehr gute Ausgangslage bei Preisverhandlungen im Einkauf. Der Tweel hingegen besteht aus Polyurethan, der Grundstoff zur Fertigung muss dann von großen Chemiekonzernen wie etwa BASF oder Bayer bezogen werden. Der Verhandlungsspielraum würde deutlich kleiner werden.
Auch der Elektronik-Markt würde es spüren, denn heute sind Luftdrucksensoren fast schon Standard in Neufahrzeugen. Nicht zu vergessen die Unternehmen, die elektrische und mechanische Luftdruckpumpen für private wie gewerbliche Anwender herstellen. Ebenso müssten wohl Hersteller und Händler chicer Alufelgen mit großen Einbußen leben. Letztlich träfe es aber wohl, zumindest in den Industrieländern, die zahlreichen Reifenwerkstätten und Pannendienste am härtesten, wenn es nichts mehr zu flicken, auszuwechseln oder abzuschleppen gäbe. Laut ADAC stehen defekte Reifen in der Pannenstatistik 2018 an 4. Stelle. Jedes Jahr werden allein in der Bundesrepublik Deutschland rund 55 Millionen Reifen ausgewechselt, wodurch zweifellos eine große Anzahl an Mitarbeitern beschäftigt wird.
Fazit
Der große Gewinner der Umstellung von pneumatischen Reifen auf den luftlosen Tweel wären fraglos die Erdöl- und die Chemieindustrie, denn nur das Polyurethan besitzt die gewünschten Eigenschaften, um den Pneu zu ersetzen. Ob jedoch eine noch höhere Konzentration an Marktmacht bei den Öl-Multis wünschenswert ist, diese Frage stellen sich vielleicht nicht nur die Reifenhersteller. Auch in Hinblick darauf, dass weltweit die meisten Erdöl-Raffinerien im Besitz von US-Unternehmen sind.
Das können alles Aspekte sein, die dazu führten, dass der Tweel bisher nur in ausgewählten Bereichen zum Einsatz kommt. Aber vielleicht ist er einfach wirklich noch nicht Serienreif, beziehungsweise ist die Modellpalette noch nicht vollständig. Denn wenn er kommt, werden ihn alle haben wollen, sowohl der Kleinwagenfahrer als auch der SUV-Besitzer oder der Sportwagenliebhaber.