Im Grunde wünscht sich jeder Mensch Lebensmittel, von denen er oder sie weiß, was drin ist. Nicht unbedingt bis in das letzte Detail, denn selbst ein ohne Spritzmittel gezogener Apfel aus einem von Umweltgiften unbelasteten Anbaugebiet lässt sich in seine chemischen Bestandteile zerlegen und weist dann zum Beispiel durchaus aggressive Säuren auf. Aber der Apfel wie auch andere Lebensmittel sind uns seit Jahrhunderten vertraut.
Wir können uns darauf verlassen, dass er keine wie auch immer gearteten Folgewirkungen negativer Art verursachen wird. Das lässt sich von der Zutatenliste der Nahrungsmittelindustrie jedoch nicht behaupten. Dabei zeigt sich so manches der Produkte im Supermarktregal schon einmal mit einer durchaus beachtlichen Liste an Zusatzstoffen, die vermuten lassen könnten, das etwa der Keks mit Schokoflocken nicht gebacken, sondern in einer Retorte unter zu Hilfenahme von Blitz und Donner erzeugt wurde, Frankenstein lässt grüßen.
Interessant dabei ist, dass diese Zutatenliste nicht vollständig ist. Eigentlich müsste sie es sein, aber die Nahrungsmittelindustrie hat es geschafft, dass der Gesetzgeber quasi gesetzlich ein Auge zudrückt, und zwar bei den sogenannten technischen Hilfsstoffen oder den Verarbeitungshilfsstoffen wie auch bei den Zusatzstoffen in Zutaten.
Warum müssen diese Stoffe nicht deklariert werden?
Diese Frage stellen sich viele Menschen und vor allem die Verbraucherportale. Warum muss ein Zusatzstoff in einer Zutat zu einem Lebensmittel nicht angegeben werden. Die recht dürftige Erklärung seitens des Gesetzgebers lautet: Wenn der Zusatzstoff über eine Zutat in das Lebensmittel gelangt und dort keine technologische Wirkung ausübt, ist er nicht kennzeichnungspflichtig. Was nun unter technologischer Wirkung zu verstehen ist, unterliegt zweierlei Auffassung und logisch gedacht, kann es doch nicht sein, das der Zusatzstoff in der Zutat nicht, aber im eigentlichen Lebensmittel deklarationspflichtig wäre. Im Prinzip ein Hintertürchen für Zusatzstoffe, die der Hersteller nicht so gern angeben möchte.
Ähnlich funktioniert es mit den Verarbeitungshilfsstoffen oder den technischen Hilfsstoffen. Sie werden dem Lebensmittel während der Verarbeitung beigefügt, müssen aber wieder entfernt oder deaktiviert werden. Dabei nimmt der Gesetzgeber unbeabsichtigte oder technisch unvermeidbare Rückstände hin, wenn diese gesundheitlich unbedenklich sind. Da stellt sich einmal mehr die Frage nach der Langzeitwirkung dieser Stoffe oder einfach nur die Frage nach dem Warum? Ein gutes Beispiel sind Walnüsse, gerade zur Weihnachtszeit beliebte Bestandteile von Weihnachtstellern. Die Produzenten der Supermarkt-Walnüsse bleichen die Schalen mit Natriumhypochlorit, damit diese schön hell aussehen.
In der Natur sind Walnussschalen eher dunkel und von schwarzen Rillen durchzogen. Natriumhypochlorit ist ein Verarbeitungshilfsstoff, aber auch der ätzende Bestandteil von herkömmlichem Abflussreiniger. Nicht nur Walnüsse werden damit gebleicht, sondern auch Stärke und diese wiederum landet als Zutat in weiteren Lebensmitteln, womit dann wieder das Natriumhypochlorid zum Zusatzstoff in einer Zutat wird, natürlich nicht deklarationspflichtig. Übrigens ist Natriumhypochlorid noch unter einem anderen Namen bekannt: Es wird auch als flüssiges Chlor oder Chlor Liquid gehandelt. Wer sich noch an die „Chlorhühnchen“ im Zuge der TTIP-Diskussion erinnern kann, das ist derselbe Stoff.
Zusätze und Hilfsstoffe in Lebensmitteln – unüberschaubar
Allein die Liste der zugelassenen Zusätze in Lebensmitteln aus der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 umfasst über 300 Seiten, wobei jedem Zusatzstoff eine E-Nummer zugeteilt ist, die sich aber noch einmal in a, b, c usw. unterteilen kann, angefangen bei der E 100, ein gelber Farbstoff mit der Bezeichnung Kurkumin, bis hin zur E 1521, womit Polyethylenglycol gemeint ist. Ein Zusatzstoff, der unter anderem sowohl in Lippenstift wie auch in Medikamenten in Zäpfchenform vorkommt.
Die Verarbeitungshilfsstoffe sind in der Liste der Zusatzstoffe nicht aufgeführt, obwohl es hierbei Überschneidungen gibt. Das eben erwähnte Polyethylenglycol ist zum Beispiel ein Zusatzstoff mit E-Nummer, aber auch ein Verarbeitungshilfsstoff ohne E-Nummer. Durchaus verwirrend.
So umfangreich wie die Liste der E-Nummern ist die der Verarbeitungshilfsstoffe allemal. Sie unterteilt sich in 42 Gruppen von A wie Adsorptionsmittel bis W wie Waschmittel. Dazwischen finden sich Mikrobenkontrollmittel, Katalysatoren, Schutzgase, Reaktionsvermittler und noch vieles mehr. Alle diese Gruppen besitzen meist noch Untergruppen, wie etwa Oberflächenbehandlungsmittel, die sich in sechs weitere Untergruppen unterteilen. Eine davon ist zum Beispiel das Schaumverhütungsmittel, das sich wiederum in vier Stoffe unterteilt. Auch hier ist es so, das diese vier Schaumverhütungsmittel zugleich Verarbeitungshilfsstoffe und Zusatzstoffe mit E-Nummern sind. Ein genauer Blick zeigt, dass sich die Liste der E-Nummern in der Liste der Verarbeitungshilfsstoffe wieder findet und noch weitere Stoffe. Nur sind sie als Verarbeitungshilfsstoffe nicht Deklarationspflichtig.
Das kann zu der Annahme führen, das die Lebensmittelindustrie beliebig mit den Stoffen hantiert und einfach nach Bedarf entscheidet, ob es ein Zusatz ist, der auf der Verpackung angezeigt werden muss, oder zum Verarbeitungshilfsstoff erklärt und damit ohne Kennzeichnungspflicht eingesetzt wird.
Ist alles so schlimm, wie es sich anhört?
Zunächst muss klar gesagt werden, dass kein Unternehmen daran Interesse hat, seine eigenen Kunden zu gefährden. Lebensmittelskandale haben für die betreffenden Betriebe oft verheerende Auswirkungen. Das Problem ist nur, das in den Firmen mit gefährlichen Stoffen gearbeitet wird, die vermutlich in winzigen Mengen tatsächlich harmlos sind, aber während der Verarbeitung in großen Chargen eingesetzt und dosiert werden. Stimmt nur einmal die Dosierung nicht und die Qualitäts- und Endkontrolle versagt, können so Produkte in den Markt gelangen, die schwere gesundheitliche Schäden verursachen.
Viele der Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffe unterliegen einer amtlichen Risikobewertung. Was sich zunächst Vertrauen erweckend anhört, ist es nicht unbedingt. Wenn für einen Stoff eine Bewertung hinsichtlich seines Risikos für den Verbraucher vorgenommen wird, heißt dies im Klartext, dass keine oder ungenügend gesicherte Daten vorliegen, wie sich der Stoff in einer Überdosierung verhält. Oft auch nicht in Bezug auf die Langzeitwirkung. Eine Risikobewertung ist eine Schätzung, keine feststehende Tatsache.
Fazit
Im Endeffekt muss jeder erwachsene Mensch für sich selbst entscheiden, ob er oder sie das Risiko eingeht und Nahrungsmittel, aber auch Kosmetika, verwendet, die grundsätzlich unter zwei Gesichtspunkten hergestellt wurden. Einmal, weil es dafür einen Markt gibt. Zum anderen jedoch nur, weil sie sich in dieser Form herstellen lassen. Der im ersten Absatz erwähnte Keks mit Schokoflocken, der Millionenfach in Supermarktregalen angeboten wird, kann nur dann Millionenfach angeboten werden, wenn er unter optimierten Bedingungen produziert wird. Das wiederum hat überhaupt nichts mehr mit traditionellen Backwaren vom Konditor um die Ecke zu tun, wenn auch die Werbung dies gerne suggeriert. Es ist eine Mischung aus Hochtechnologie, perfektioniertem Maschinenbau und Chemie. Das darf ruhig vor Augen geführt werden, wenn der samstägliche Einkauf im Supermarkt ansteht und die bunte Warenwelt sich anbietet.